EINFÜHRUNG EINES BEREICHSÜBERGREIFENDEN PROJEKTPORTFOLIO-MANAGEMENTS

  • Schrittweise zu mehr Transparenz – Dr. Wolfgang Weber, Senior Consultant bei PS Consulting International
Projektmanagement-Beratung

Die Firma BioXXTech AG – ein (fiktives) Unternehmen mit ca. 4.000 Mitarbeitern, das seit 20 Jahren erfolgreich im Bereich der angewandten Bio-Medizin tätig ist – hatte zur Professionalisierung des Projektmanagements die Stelle „Leiter globales PMO“ neu geschaffen. Ziel war es, eine generische PM-Richtlinie auszuarbeiten und zu implementieren, die zunächst füralle Projekte des Forschungs- und Entwicklungsbereichs (Research and Development, R&D) und langfristig auch für alle anderen Projekte zur Anwendung kommen sollte. Ein Projektportfolio-Management (PPM) gab es bisher nicht, die Projekte wurden bereichs- bzw. abteilungsintern initiiert, priorisiert und durchgeführt. Ein abteilungsübergreifender Abgleich erfolgte nur in Ausnahmefällen. Die Projektlandschaft war unübersichtlich und andauernde Ressourcenengpässe, Projektunterbrechungen, häufige Umpriorisierungen sowie das völlige Fehlen eines Nutzen-Controllings einmal begonnener Aktivitäten erschwerten die Projektarbeit. Höchste Zeit also für die BioXXTech AG, etwas zu tun.

Das Beispiel der BioXXTech AG ist zwar erfunden, dennoch spiegelt es in vielen Firmen die reale Situation gut wider: Abteilungen initiieren „ihre“ Projekte in Eigenregie und achten dabei wenig auf Zusammenhänge mit Projekten in angrenzenden Abteilungen. Die Projektlandschaft ist zersplittert und mögliche Synergieeffekte bleiben ungenutzt. Ein gut funktionierendes Projektmanagement gilt jedoch als entscheidender Wirtschaftsfaktor für Unternehmen, die einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes über Projektarbeit realisieren. Es lohnt sich also, das Projektmanagement zu professionalisieren und ein Projektportfolio-Management (PPM) zu implementieren. Denn nur so lassen sich Synergieeffekte erkennen, Projekte priorisieren und anschließend Ressourcen passend zuordnen.

Welche wesentlichen inhaltlichen Schritte und Elemente für die Implementierung eines Projektportfolio-Managements (PPM) erforderlich sind, beschreibt dieser Beitrag. Darüber hinaus zeigt er die damit verbundenen organisatorischen und kulturellen Konsequenzen und Veränderungen auf.

Ausgangssituation
In unserem Beispiel stellte sich die Ausgangssituation nach einer ersten genaueren Analyse des neuen PMO Leiters wie folgt dar:

  • Es gab viele Projekte sowohl im Bereich R&D als auch in anderen Bereichen (nachfolgend „Nicht-R&DBereich“ genannt). Weder die Geschäftsführung noch die beteiligten Abteilungen hatten einen richtigen Überblick über diese Projekte.
  • In keinem der beiden Bereiche existierte ein systematisches Projektportfolio-Management. Die Projekte wurden in aller Regel von den Linienvorgesetzten genehmigt, die Projekt-Prioritäten änderten sich häufig.
  • Die Planungsqualität der meisten Projekte reichte nicht aus, um die (Voll-)Kosten der Projekte transparent zu machen.
  • Projektleitung wurde nicht als Führungsaufgabe verstanden („Projektleitung kann hier jeder“). Projektleiter wurde vielmehr oft derjenige, der in der Fachlaufbahn keinen großen Erfolg hatte.
  • Ein generischer und einfacher PM-Prozess für alle Projekte im Unternehmen fehlte. Der vorhandene Prozess vermengte PM- und inhaltliche Aspekte und war daher nur auf Produktentwicklungen eines ganz bestimmten Typs anwendbar.
  • BioXXTech AG kannte nur das Denken in der Linie. Die Dualität von Linie und Projekt war nur den wenigsten Mitarbeitern bekannt. Zudem stellte der PMO-Leiter im Rahmen seiner Arbeit fest, dass die Projektlandschaft bei der BioXXTech AG sehr unübersichtlich war. Auf sein Drängen hin traf der CEO als Konsequenz die Entscheidung, zumindest für einen Teilbereich der BioXXTech AG ein Portfolio-Management zu implementieren. Das dazu aufgesetzte Projekt trug den Namen „PPM One“. Es sollte als Vorreiter-Projekt zunächst nur die „Nicht-R&D-Projekte“ betreffen, also alle Infrastruktur- und Organisationsprojekte sowie alle Bau-, IT- und Marketingprojekte.

Projektziele

In einem ersten Schritt galt es für den PMO-Leiter, mit dem CEO die Projektziele sowie den angestrebte Nutzen von „PPM One“ abzustimmen. Da sich die geplante Priorisierung der „Nicht-R&D“-Projekte auf alle Abteilungen des Unternehmens auswirken würde, waren sämtliche Linienverantwortliche – also das gesamte Top-Management – von diesem Projekt betroffen. Diese mussten in einem zweiten Schritt vom CEO über den Projektauftrag und den Zweck des Projekts informiert werden. Innerhalb der darauffolgenden vier Wochen stellte der Projektleiter den Projektauftrag von „PPM One“ dann dem versammelten Top-Management vor.

Das Projekt stieß dabei auf deutliche Skepsis bei den Abteilungsleitern, denn diese waren alles andere als erfreut, ihre bisherige Projektautonomie zugunsten des großen Ganzen abgeben zu müssen. Auch befürchteten sie einen Verlust „ihrer“ Projekte (und damit einen Machtverlust), falls diese möglicherweise aus Synergiegründen mit Projekten anderer Abteilungen zusammengeführt und dort abgewickelt werden würden. Da es viel Überzeugungsarbeit zu leisten gab, war die Präsenz des CEO und dessen klare Vorgabe, das Projekt durchzuführen, besonders wichtig. Im nächsten Schritt musste das Projektteam von „PPM One“ zusammengestellt werden. Da sämtliche Bereiche der BioXXTech AG von der Implementierung einer standardisierten PM-Richtlinie und eines einheitlichen Portfolio-Managements betroffen sein würden, war es zwingend notwendig, dass sich das Team aus Vertretern all dieser Bereiche zusammensetzt. Nur so würden sich deren Anliegen und Sichtweisen angemessen berücksichtigen lassen.

Richtlinie für Planungsqualität festlegen

Der erste Schritt beim Aufbau des Portfoliomanagements bestand darin, alle bei BioXXTech AG existierenden „Nicht-R&D“-Projekte zusammenzutragen und in einer gemeinsamen Liste darzustellen. In den darauffolgenden Wochen und Monaten sollte die Planungsqualität dieser Projekte dann standardisiert und zugleich deutlich erhöht werden, damit die späteren Portfoliodaten ausreichend belastbar wären. Denn erst durch eine klare Abgrenzung der Projekte gegeneinander und eine vergleichbare Darstellung der Eckdaten, wie Ziele, Kosten und Termine sowie der Risiken und Statusaussagen würde es möglich sein, die Projekte sinnvoll zu einem Portfolio zusammenzubauen. Bei der BioXXTech AG gab es bisher z.B. nur in etwa 10% der Projekte überhaupt einen regelmäßigen Statusbericht, der zudem meist sehr individuell gestaltet war und daher vieles unklar oder offen für Interpretationen ließ. Um zunächst überhaupt erst einmal Wissensgleichstand bezüglich der unternehmensweiten PM-Methodik herzustellen, führte das Projektteam von „PPM One“ einen gemeinsamen Workshop durch. In diesem wurde die zuvor entwickelte generische PM-Richtlinie als Erstansatz vom Projektleiter vorgestellt und anschließend ausführlich diskutiert. Die Diskussionsergebnisse wurden dann als „Fine-Tuning“ in die endgültige Fassung der Richtlinie eingearbeitet, um insbesondere die Mindest-Planungsqualität für alle Projekte der BioXXTech AG verbindlich und einheitlich festzulegen. Gemäß dem „Multiplikatoren-Prinzip“ sollten die Teammitglieder dieses Wissen anschließend per Coaching an die ihnen zugewiesenen Projekte weitergeben, um deren Planungsqualität zu steigern. Auf diese Weise sollte allmählich ein einheitliches PM-Verständnis bei der BioXXTech AG entstehen.

Projekt-Zielbeiträge ermitteln – Ohne Strategie geht es nicht
Kernelement des neuen Portfolio-Managements sollte ein Fragenkatalog zur Priorisierung der Projekte sein. Dieser sollte die strategischen Ziele für „Nicht-R&D“-Projekte abbilden und damit ermöglichen, die einzelnen Projekt- Zielbeiträge zu ermitteln. Da es bei der BioXXTech AG jedoch weder für den R&D-Bereich noch für die anderen Bereiche spezifische Bereichs-Strategien gab, musste diese zunächst erarbeitet werden. Die aktuell geltende Gesamtstrategie war für die Ausarbeitung des Fragenkatalogs nicht verwendbar. Ihre Aussagen, wie z.B. „Der Umsatz soll in den kommenden fünf Jahren um 20%-25% steigen“, waren dafür zu unpräzise und unspezifisch. Daher erstellte das „PPM One“-Team zunächst einen Vorschlag für eine „Nicht-R&D“-Strategie, die dann mit dem CEO und dem gesamten Top-Management besprochen und verabschiedet werden sollte. Diese Arbeit erforderte mehrere Meetings, da das Team einige Punkte kontrovers diskutierte. Z.B. wurde erst nach längerer Zeit Einigkeit in der Frage erzielt, ob der Gewinn oder stattdessen nicht eher die Kundenzufriedenheit Zweck der Geschäftstätigkeit der BioXXTech AG seien. Letztendlich einigte man sich aber darauf, dass der Gewinn selbst allenfalls das Ergebnis einer guten Strategie ist, aber nicht eines ihrer Bestandteile. Das Ergebnis der Strategieworkshops stellte der Projektleiter dem Top-Management vor, das den Vorschlag nach intensiver Diskussion und einigen kleineren Änderungen schließlich annahm.

Fragenkatalog auf Basis der Strategie festlegen
Auf Basis der neu verabschiedeten Bereichsstrategie diskutierte das PPM One-Team im nächsten Schritt, anhand welcher Fragen man in Zukunft die Priorität der „Nicht-R&D“-Projekte innerhalb des Portfolios ermitteln sollte. Es sollten jeweils maximal zehn Fragen zu den zwei Merkmalen „Projekt-Zielbeitrag“ und „Projekt-Risikobeitrag“ sein; wegen der immer noch verbesserungswürdigen Projekt-Planungsqualität erschien eine noch detailliertere Projektbeurteilung derzeit nicht sinnvoll. Nicht alle Fragen des Katalogs sollten jedoch das gleiche Gewicht haben – das hatte die Diskussion im Team bereits gezeigt. Außer den Fragen selbst mussten also auch deren relativen Gewichte festgelegt werden.

Zu diesem Zweck stellte der Projektleiter im Team die Methode des „paarweisen Vergleichs“ vor. Bei dieser Methode wird jeweils immer nur ein Paar von Fragen miteinander verglichen und bzgl. der größeren Relevanz bewertet. Dies geschah sukzessiv mit allen möglichen Fragenpaaren. Die pro Frage aufsummierten Bewertungen entsprachen dann ihrem relativen Gewicht. Der Fragenkatalog zu den Risikobeiträgen Die Fragen zu den möglichen Risikobeiträgen eines Projekts ergaben sich überwiegend aus den Erfahrungen, die man bei BioXXTech AG während des ersten Jahres mit dem Projekt „PMO-Aufbau für den R&DBereich“, d.h. mit der PM-Professionalisierung im Entwicklungsbereich, gesammelt hatte.

Als ein ganz entscheidendes Projektrisiko hatte man die oft unzureichend gelebte Rolle des Projektauftraggebers identifiziert: In Projekten, in denen sich niemand in führender Position sichtbar für das Projekt und seinen Fortschritt interessierte, erlahmte der anfängliche Enthusiasmus des Teams oft schnell und das Projekt wurde zu einer permanent ressourcenverschlingenden Dauerbaustelle oder starb ganz ab. Als für den Projekterfolg beinahe ebenso wichtig beurteilte man die Führungskompetenz des Projektleiters – ein Umdenken in dieser Sache hatte bei BioXXTech AG offensichtlich begonnen. Das Projektbudget dagegen spielte z.B. bei der Risikobeurteilung dank der allgemein recht hohen Gewinnmargen bei Biotech-Unternehmen eine eher untergeordnete Rolle.
Diese Erkenntnisse spiegelten sich in den Gewichten der Fragen zu den Risikobeiträgen wider, die gleichfalls mit der Methode des paarweisen Vergleichs ermittelt wurden.

Vorpriorisierung
Mit dem Fragenkatalog stand nun das zentrale Werkzeug für die Projektpriorisierung zur Verfügung: Für jedes laufende (und jedes zukünftige) Projekt wurde z.B. zuerst dessen Zielbeitrag ermittelt. In gemeinsamer Diskussion wurden dazu alle acht Fragen mit jeweils einer der vier Ausprägungen „trifft nicht zu“ (0) / „trifft wenig zu“ (1) / „trifft überwiegend zu“ (2) und „trifft vollkommen zu“ (3) beantwortet. Das „PPM One“-Team bat zunächst alle betroffenen Projektleiter, ihre Projekte mittels des Fragenkatalogs zu bewerten. Das Ergebnis war erwartungsgemäß inflationär: Es gab kaum Projekte mit niedrigen Zielbeiträgen und
hohen Risiken, denn jeder Projektleiter versuchte, seine Projekte in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. Daher schienen beinahe alle Projekte von höchster Wichtigkeit und gleichzeitig völlig risikolos zu sein. Genau dieser Effekt hatte bei BioXXTech AG in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass die Projektmitarbeiter mangels stabiler Prioritäten selber entscheiden mussten, an welchen Projekten sie arbeiten wollten. Kostbare Ressourcen wurden so schmerzhaft „verzettelt“.

Erst in der gemeinsamen Diskussion im „PPM One“-Team und in der Gesamtsicht aller Projekte des Portfolios relativierten sich die einzelnen Projekt-Bewertungen und die volle Skalenbreite der Ausprägungen kam zur Anwendung. Anfangs favorisierte jeder in der Gruppe die „Lieblingsprojekte“ seiner Abteilung. Angesichts der kritischen Fragen der übrigen Teammitglieder relativierten sich die Positionen aber bald und es gelang immer besser, den Nutzen der Projekte aus Unternehmenssicht zu beurteilen. Und zusätzlich erkannte man plötzlich Projekt-Doppelspurigkeiten, so dass durch das Zusammenlegen von Projekten eine unmittelbare Verringerung der Projektzahl möglich war. Die Ausprägungen wurden mit den entsprechenden Gewichtungsfaktoren multipliziert; anschließend wurde die Summe über alle acht Ergebnisse gebildet. Der entsprechende Wert stellte dann den Zielbeitrag des betreffenden
Projekts dar.

Erst in der gemeinsamen Diskussion im „PPM One“-Team und in der Gesamtsicht aller Projekte des Portfolios relativierten sich die einzelnen Projekt-Bewertungen und die volle Skalenbreite der Ausprägungen kam zur Anwendung. Anfangs favorisierte jeder in der Gruppe die „Lieblingsprojekte“ seiner Abteilung. Angesichts der kritischen Fragen der übrigen Teammitglieder relativierten sich die Positionen aber bald und es gelang immer besser, den Nutzen der Projekte aus Unternehmenssicht zu beurteilen. Und zusätzlich erkannte man plötzlich Projekt-Doppelspurigkeiten, so dass durch das Zusammenlegen von Projekten eine unmittelbare Verringerung der Projektzahl möglich war. Die Ausprägungen wurden mit den entsprechenden Gewichtungsfaktoren multipliziert; anschließend wurde die Summe über alle acht Ergebnisse gebildet. Der entsprechende Wert stellte dann den Zielbeitrag des betreffenden
Projekts dar.

Ebenfalls in gemeinsamer Diskussion und auf die gleiche Weise ermittelte das Team als nächstes die Risikobeiträge der verschiedenen Projekte. Sinnvollerweise normierte man die Wertebereiche für Ziele und Risiken anschließend noch auf die Maximalwerte von 100%, so dass am Ende jedem Projekt ein Wertepaar aus seinem Ziel- und seinem Risikobeitrag (jeweils zwischen 0% und 100%) zugeordnet werden konnte. Dem Team von „PPM One“ gelang es dabei mit zunehmender Übung immer besser und schneller, in der Diskussion einen Konsens über die Projektbewertungen herzustellen. Das intensive Coaching der Projektleiter in der vergangenen Zeit zahlte sich dabei aus, denn dadurch standen die für die Bewertungen benötigten Informationen aus den Projekten zur Verfügung.

Projektverteilung im Bubble-Chart verdeutlichen
Anhand der ermittelten Wertepaare konnten alle Projekte in einem zweidimensionalen Bubble-Chart positioniert
werden: Die x-Achse entsprach dem Zielbeitrag, die (invertierte!) y-Achse dem Risikobeitrag. Als Parameter für die Bubble-Größe wurde der Kapitalwert (Net Present Value, NPV) des betreffenden Projekts verwendet. Die Positionen der Projekte im Bubblechart markierten die vom „PPM One“-Team ausgearbeiteten (Vor-)Prioritäten: Die höchste Priorität hatten die Projekte im oberen rechten Quadranten, da sie einen hohen Zielbeitrag
bei gleichzeitig geringem Risiko lieferten. Projekte im unteren linken Quadranten wiesen dagegen nur geringe Zielbeiträge auf, waren aber mit großen Risiken verbunden und hatten daher die niedrigste Priorität. Die Priorität der Projekte der beiden anderen Quadranten war zunächst noch unbestimmt und wurde erst in der abschließenden Diskussion mit dem Top-Management festgelegt.
Zwei positive Zwischenergebnisse konnte „PPM One“ zu diesem Zeitpunkt bereits vermelden:

  • Die vom CEO geforderte übersichtliche und vorpriorisierte Projektlandschaft war erarbeitet.
  • Die bereichsübergreifende Denkweise war für das „PPM One“-Team zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Denn um die einzelnen Ausprägungen aus der Sicht des Unternehmens – und nicht wie bisher überwiegend aus der Abteilungssicht – zu bestimmen, mussten sie sich immer auch in die Projekte „des Anderen“ hineindenken.

Budgetverteilung anhand der Prioritäten

Welche Projekte tatsächlich durchgeführt werden, war in den vergangenen Jahren über das vorhandene Budget festgelegt worden, etwa nach dem Muster: „Dieses Budget steht Ihnen zur Verfügung, schauen Sie mal, welche Projekte Sie damit machen können“. In der jeweils zum Jahresende stattfindende alljährlichen Projektbudget- Diskussion im Top-Management sollte sich diese Reihenfolge nun erstmals umdrehen: Zukünftig sollten die vereinbarten Prioritäten bestimmen, wohin das Budget und die stets knappen Ressourcen fließen – und nicht umgekehrt mittels der verfügbaren Ressourcen festgelegt werden, welche Projekte durchgeführt werden.

Das Team stellte dazu die erarbeitete Vor-Priorisierung in einer zweistündigen Sitzung im Top-Management zur Diskussion, um dort gemeinsam die endgültige und verbindliche Rangfolge der Projekte festzulegen. Bei gelegentlichen Rückfragen zu Projektdetails waren die erforderlichen Informationen durch das jeweils verantwortliche Teammitglied von „PPM One“ jeweils unmittelbar verfügbar. Da die meisten Projekte bereits vorpriorisiert waren, verlief die Diskussion sachlich und zielgerichtet. Die Priorität der Projekte in den Quadranten „rechts oben“ und „links unten“ prüfte das Top-Management nur auf Plausibilität. Meist wurden diese Prioritäten übernommen, nur in Einzelfällen führten zusätzliche politische oder taktische Überlegungen zu einer Verschiebung im Bubble-Chart. Das Hauptaugenmerk lag vor allem auf den noch unpriorisierten Projekten mit entweder niedrigem Ziel- oder hohem Risikobeitrag. Für diese sollten ebenfalls Prioritäten festgelegt – oder falls möglich –Ziele bzw. Risiken durch Veränderung des jeweiligen Projektauftrags
verschoben werden. Die Zusage des Top-Managements, den festgelegten Prioritäten eine vierteljährliche Stabilität zuzubilligen und zukünftig kein neues Projekt mehr an diesem Priorisierungsprozess „vorbeizuschleusen“, sorgte für eine gewisse Ruhe in der Projektarbeit.

Ressourcen-Zuordnung
Bevor die BioXXTech AG endgültig festlegen konnte, welche Projekte im darauffolgenden Jahr durchgeführt werden sollten, war noch ein letzter, wichtiger Schritt erforderlich: Die Prüfung der geplanten und priorisierten neuen sowie der laufenden Projekte gegen die Ressourcen-Verfügbarkeit. Es zeigte sich in den folgenden Wochen, dass einige Projekte zumindest in absehbarer Zeit nicht gestartet bzw. weitergeführt werden konnten, weil die dafür erforderlichen Fachspezialisten in bestimmten Bereichen fehlten. Dank der zuvor vereinbarten Prioritäten war schnell klar, welche Projekte es „treffen“ würde und welche nicht, so dass sich eine neue, zeitraubende Ressourcen-Diskussion erübrigte. Auch die von den Entscheidungen betroffenen Projektleiter waren letztlich froh, weil sie wussten, woran sie waren und sich auf ihre bewilligten Projekte konzentrieren konnten, ohne einen hastigen Prioritätswechsel befürchten zu müssen.
Die Prüfung der Projekte gegen die verfügbaren Ressourcen war allerdings recht mühsam und zeitraubend, da es nur eine manuell erstellte Sicht der gesamten Ressourcen gab. Aber auch diese Mühsal hatte ihr Gutes, denn ein bei der BioXXTech AG bisher wenig beachtetes Thema gewannt dadurch plötzlich von selbst an Fahrt: die Implementierung einer integrierten PM-Software. Für alle am Priorisierungsprozess beteiligten Mitarbeitern war klar geworden, dass die Integration von unternehmensweiter Portfolio-, Budet- und Ressourcenplanung mittelfristig nur mit Hilfe einer solchen Software erreicht werden könnte. Doch dies ist ein anderes Kapitel in der PM-Professionalisierung.

Rückblick und Ausblick – Die Folgen erster Ordnung
Etwa ein Jahr nach der Beauftragung von „PPM One“ hatte sich im Management der „Nicht-R&D“-Projekte einiges
spürbar verändert:

  • Die Projektlandschaft war transparent und übersichtlich geworden.
  • Alle Projekte hatten eine eindeutige und kommunizierte Priorität, die an der Bereichsstrategie ausgerichtet war. Die „lauten“ Projekte hatten nun nicht mehr automatisch die höchste Priorität.
  • Die Prüfung der Projektprioritäten, die etwa alle drei Monate wiederholt wurde, war stark versachlicht. Und die einzelnen Prioritäten waren wesentlich „stabiler“ als noch im Jahr zuvor.
  • Die Zahl der „PPM One“-Projekte hatte sich mehr als halbiert. Dies war sowohl auf erfolgreiche Projektzusammenlegungen zurückzuführen als auch darauf, dass zahlreiche Projekte an ihre Abteilungen „zurücküberwiesen“ wurden, weil sie keine Aufmerksamkeit des Top-Managements erforderten und daher zukünftig in der Linie budgetiert werden sollen.
  • Es gabt keine „Must“-Projekte mehr. Dieses Attribut hatten die Projektleiter in der Vergangenheit oft recht freizügig vergeben, um das eigene Projekt vor unangenehmen Fragen zu schützen. Jedes laufende (und jedes zukünftige) Projekt musste sich an den vereinbarten Fragen messen lassen und so seine Priorität aus Unternehmenssicht beweisen.
  • Die Projektleiter hatten mehr Klarheit in Bezug auf die Priorität ihrer Projekte und die Ressourcenzuteilung erfolgte weitgehend gemäß der vereinbarten Priorisierung.
  • Es wurde beschlossen, im Folgejahr auch die Budgetierung – ein bisher separater Prozess – sowie die Ressourcenplanung – bisher manuell durchgeführt – mittels einer PM-Software in das neu geschaffene Portfolio-Management der „Nicht-R&D-Projekte“ zu integrieren.

… und die Folgen zweiter Ordnung

Der Aufbau eines Portfolio-Managements für „Nicht-R&D“-Projekte hatte für die BioXXTech AG wegweisenden Charakter, wie sich insbesondere an den indirekten Folgen des Projekts „PPM One“ zeigte:

  • Im Top- und Senior-Management und beim Projektpersonal war die bereichsübergreifende Sicht und Zusammenarbeit deutlich stärker spürbar als bisher.
  • Die Unternehmensleitung hatte einen Teil ihrer Verantwortung auf die nächst tiefere Führungsebene verlagert.
  • Machtverhältnisse im Unternehmen begannen sich zu verschieben und die Schaffung einer separaten Projektorganisation rückte zunehmend ins Blickfeld.
  • Projektleitung wurde immer mehr als Führungsaufgabe verstanden und die Projektauftraggeber begannen damit, ihre Rolle ernst zu nehmen

Was noch zu tun blieb
Im Verlauf von ca. eineinhalb Jahren war ein Portfolio-Management für den „Nicht-R&D“-Bereich aufgebaut und das Projekt „PPM One“ erfolgreich abgeschlossen worden. Dennoch blieb noch viel zu tun:

  • Die Ausstrahlung auf den R&D-Bereich war unübersehbar, daher sollte auch dort ein Portfolio-Management implementiert werden.
  • Die Einführung einer integrierte PM-Software sollte in absehbarer Zeit die Ressourcenplanung und die Budgetierung einfacher und transparenter zu gestalten.
  • Die Planungsqualität sämtlicher Projekte bei BioXXTech AG musste noch weiter standardisiert und erhöht werden.
  • Als weitere mittel- und langfristige PM-Professionalisierungs-Maßnahmen war eine systematische Auswahl von Projektleitern unter Führungsaspekten geplant und es sollte ein PM-Karriererpfad eingerichtet werden.

Zusammenfassung
Die Einführung des Portfoliomanagements war im Beispiel zunächst auf einen Teilbereich des Unternehmens beschränkt. Die Aufgabe ließ sich durch diese Abgrenzung auch mit nur geringer Ressourcenausstattung bewältigen. Die gewonnenen Erkenntnisse können später mit überschaubarem Aufwand auch auf weitere Unternehmensbereiche angewendet werden. Im Rückblick zeigte sich, dass die Projektziele Nr. 2 und 3 (Einheitliche Planung und Projektdurchführung sowie Regelmäßige Projektberichte zu Projektstatus und Business Case) weniger eigentliche Ziele waren, sondern vielmehr notwendige Voraussetzungen, um ein funktionierendes Portfoliomanagement überhaupt implementieren zu können. Ein gewisser PM-Reifegrad und eine einigermaßen belastbare Planungsqualität sind notwendige Voraussetzungen für eine erfolgreiche PPM-Einführung. Zu Projektbeginn überwogen fast überall im Unternehmen Ablehnung und Skepsis gegenüber der geplanten Einführung eines strukturierten Portfoliomanagements. Die mit einem solchen Projekt zwangsläufig verbundenen umfangreichen Struktur- und Organisationsveränderungen sowie die zunehmende Transparenz lösten Unsicherheit und Ängste aus, die die Komplexität des Vorhabens und den Schwierigkeitsgrad sehr erhöhten. Die langfristig operativen und strategischen Vorteile waren anfänglich nicht allen Beteiligten klar. Die durch diese Strukturveränderung ausgelösten Veränderungen in der Unternehmenskultur wurden erst während des Projektverlaufs sichtbar. Dazu zählen insbesondere die „Teil-Entmachtung“ der Linienfürsten, die Forderung nach Unterordnung der Einzel(-Projekt)-Interessen unter das unternehmenerische Gesamtinteresse sowie die Forderung nach allseitiger Einhaltung der selbst gegebenen Prozesse. Vor allem wegen dieser Kulturveränderungen handelt es sich bei Vorhaben wie dem beschriebenen in aller Regel um ein Veränderungsprojekt par excéllence.

Richtlinien für ein funktionierendes Portfoliomanagment
Als wichtigste Richtlinien für ein erfolgreich und langfristig funktionierendes Portfoliomanagement kann man zusammenfassend nennen:

  • Die Projektauswahl sollte ausschließlich anhand eines Portfolioprozesses erfolgen, der mit der Geschäftsleitung vereinbart ist und der die betreffende Bereichsstrategie widerspiegelt.
  • Dieser Prozess muss für alle Projekte und alle Projektideen gelten. Sogenannte „U-Boot-Projekte“ (zer-)stören ein konsolidiertes Portfolio innerhalb kurzer Zeit und untergraben zudem die Glaubwürdigkeit des Projektmanagements und generell die PM-Disziplin im Unternehmen.
  • Die ermittelten Ziel- und Risikobeiträge sollten keinesfalls abschließend über die Projektprioritäten entscheiden, sondern es muss ausreichend Raum für Diskussionen und die Berücksichtigung taktischer und politischer Randbedingungen bleiben. Diese zusätzlichen Aspekte sind wichtig und können mit Zahlen kaum ausreichend wiedergegeben werden. Zahlen helfen jedoch bei der Versachlichung der Diskussionen – und diskutiert wird meist viel und gerne.
  • Alle im PPM betrachteten Projekte müssen eine Mindest-Planungsqualität aufweisen, damit man ihre Ziel- und Risikobeiträge in vergleichbarer Weise bewerten kann. Klare Projektaufträge mit eindeutig formulierten Projektzielen (und Nicht-Zielen) sowie möglichst standardisierte Projektstatusberichte sind dafür zwingend erforderlich.
  • Letztendlich sollte ein Portfoliomanagement nicht auf einen Teilbereich beschränkt bleiben, sondern für das ganze Unternehmen gelten. Das bedeutet letztlich, dass alle Projekte, die in Wechselwirkung zueinander stehen, gegeneinander priorisiert werden. Dabei ist es gleichgültig, welchem Bereich die Projekte zugeordnet sind und ob die Wechselwirkungen über Budget, Ressourcen oder inhaltliche Zusammenhänge – oder alles zusammen – erfolgen. Nur die in einer gänzlich isolierten Umgebung laufenden Projekte können von einer firmenweiten Priorisierung ausgenommen werden.
  • Die Priorität entscheidet über die Ressourcenlage – und nicht umgekehrt. Das heißt, die Prioritäten werden als erstes festlegt (entlang der Strategie), erst dann werden die Projekte gegen Ressourcen und Budget geprüft (bei festgehaltenen Prioritäten).